Reissen wir die Mauern ein, die uns trennen
– in Solidarität mit allen kämpfenden Gefangenen
und dem Hungerstreik in Italien


Aufruf

Wir, als AnarchistInnen, Autonome oder in anderen Worten: Menschen, welche diese Gesellschaft und ihre Ordnung umwerfen wollen, lehnen normalerweise Traditionen ab, um immer etwas neues zu experimentieren, zu entdecken, animiert durch die Lust nach einer radikalen Veränderung und der Liebe nach Unberechenbarkeit. In Berlin gibt es aber eine Tradition, welche wir nicht abschaffen wollen: den Jahreswechsel vor dem U-Haft Knast Moabit. Seit über 20 Jahren gibt es Menschen, die pünktlich um Mitternacht durch eine kraftvolle Demo ihrer Wut gegen Knäste und alle Zwangsanstalten, sowie ihrer Solidarität mit allen Gefangenen Ausdruck verleihen. Es gilt, die zu unterstützen, die aufgrund der sozialen Zustände in den Kerkern dieser unmenschlichen Gesellschaft festgehalten werden. Dieses Jahr wird es auch in Köln und Hamburg gleichartige Demos geben.

Die permanente Bedrohung für diejenigen, welche in dieser Gesellschaft nicht durch „legale” Mittel überleben können (oder wollen) und für diejenigen, welche nach radikaler Veränderungen streben, nimmt stetig zu. Nicht nur aufgrund des Imports von amerikanischen Knästen, was die Teilprivatisierung einiger deutsche Knäste zur Folge hat und die dadurch ermöglichte Schaffung neuer billiger Arbeitskräfte, sondern auch durch die wiederholte Verbreitung der Lüge von einem Anstieg der „Kriminalitätsraten”oder des „Terrorismus”, welche nur zur Rechtfertigung einer Politik der Überwachung und Kontrolle dient, und durch das Einsperren derjenigen, die als einziges Vergehen die Überschreitung fiktiver Grenzen begangenen haben sollen, versucht der Staat und das Kapital ihre unlösbaren Widersprüche durch das Wegsperren aufrecht zu erhalten: deshalb sehen wir es als notwendig an das gesamte Knastsystem (genauso wie seine „Schwestern“ – psychiatrische Einrichtungen, Abschiebeknäste und Schulen) in Frage zu stellen und Momente zu ermöglichen, wodurch wir diese Ablehnung in die Öffentlichkeit tragen können. Zu Silvester zum Knast zu gehen ist eine dieser Möglichkeiten – denn Knast ist keine Antwort auf soziale Konflikte. Die Abschaffung von Knästen kann nur innerhalb eines Parcours gesehen werden, welcher die gesamte Gesellschaft in Frage stellt und versucht wird diese und ihre unterdrückenden Strukturen zu beenden – auf welche Art und Weise auch immer. Wenn wir über Kapitalismus und Herrschaft reden dürfen wir nicht vergessen, dass Zwangsanstalten und Knäste eine ihrer Säulen sind.

Es bleibt noch zu erwähnen, dass diese sozialen Konflikte zu meist nicht Personen aus der „Szene“ betreffen, sondern viel mehr ganz „normale“ Menschen, die mit den Zuständen nicht klar kommen: wir hoffen auch diese mit der Demo anzusprechen.

Dass es möglich ist sich gegen die Institution Knast zur Wehr zu setzen, zeigen uns täglich unzählige Menschen auf der Welt: während griechische Gefangene im letzten November für bessere Bedingungen durch einen Hungerstreik kämpften, trugen AnarchistInnen und andere solidarische Individuen ihre Wut und flammende Unterstützung auf die Straße. Durch die Anwendung verschiedenster Aktionsformen sollte den Forderungen der Gefangenen gegenüber dem Staat Unterstützung zu Teil werden.

Auch in Italien findet seit dem 1. Dezember ein gestaffelter Hungerstreik der Gefangenen statt. Dieser richtet sich gegen Lebenslänglich als Strafe und erhält auch europaweite Unterstützung von Gefangenen und solidarischen Menschen. Und auch einige Gefangene innerhalb deutscher Knäste werden diesen Kampf unterstützen.

Aber eine Ausbreitung des Kampfes gegen Zwangsanstalten bleibt nur möglich, wenn hier draußen eine vielfältige Unterstützung stattfindet: die Gefangenen müssen spüren nicht alleine gelassen zu sein und wissen, dass es welche gibt, die ihre Kämpfe zu den ihrigen machen.

Deshalb laden wir euch alle ein mit uns an Silvester mindestens zeitweise die Mauern einzureißen, die uns trennen…

Gegen alle Zwangsanstalten und die Gesellschaft des Einsperrens!

In Solidarität mit allen kämpfenden Gefangenen – egal ob in Italien, Griechenland oder Deutschland!


Poster, Banner


Demobericht

Unter dem Motto “Reissen wir die Mauern ein, die uns trennen – in Solidarität mit allen kämpfenden Gefangenen und dem Hungerstreik in Italien” gab es zu Silvester eine Demonstration zur JVA Moabit in Berlin. Aus dem Aufruf: “Seit über 20 Jahren gibt es Menschen, die pünktlich um Mitternacht durch eine kraftvolle Demo ihrer Wut gegen Knäste und alle Zwangsanstalten, sowie ihrer Solidarität mit allen Gefangenen Ausdruck verleihen. Es gilt, die zu unterstützen, die aufgrund der sozialen Zustände in den Kerkern dieser unmenschlichen Gesellschaft festgehalten werden.”
Zwischen 400 und 500 Personen kamen, trotz eisiger Temperaturen, und setzten ein eindeutiges Zeichen gegen die herrschenden Zustände. Die Demo wurde von den Gefangenen schon erwarteten und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln begrüßt – Rufe, Pfiffe und nicht zu vergessen Schläge gegen die Vergitterung der Fenster. Neben lautstarken Parolen, Redebeiträgen und Grußworten, Musikwünschen von Gefangenen, wurde auch an den Tod von Alexandros Grigoropoulos erinnert, welcher von einen Bullen in Athen am 6. Dezember erschossen wurde. In Athen selber demonstrierten zur gleichen Zeit über 800 Personen vor dem Knast, direkte Grüße wurden übermittelt.


Redebeiträge

Wir sind dieses Jahr wieder vor den Knast in Moabit gekommen, um unsere Solidarität mit allen kämpfenden Gefangenen einmal mehr deutlich auszudrücken sowie unsere Ablehnung gegenüber allen Zwangsanstalten kundzutun.
Dieses Jahr möchten wir außerdem eine klare und kämpferische Umarmung den Gefangenen in Italien übermitteln – sowie natürlich auch den Weggesperrten in allen anderen Ländern – die gerade ihre Protesten gegen das Knastsystem durch einen Hungerstreik in die Öffentlichkeit tragen.
In Italien hat alles im Dezember des letzten Jahres angefangen als über 700 zu Lebenslänglich verurteilte Gefangene einen unbefristeten Hungerstreik gegen die Strafe des Lebenslänglichen begonnen haben.
Dieses Jahr haben am 1. Dezember mehrere hundert Gefangene wieder angefangen zu kämpfen. Bis zum 16. März wird es einen gestaffelten Hungerstreik in allen italienischen Knästen geben. Dies bedeutet, dass sich jede Woche in einer Region die jeweiligen Knäste im Hungerstreik befinden, bis alle einmal an der Reihe waren. Am 16. März wird es einen Tag des kollektiven Hungerstreiks geben. Unterstützung gibt es auch von vielen anderen Inhaftierten, vor allem in Spanien, aber auch in Deutschland und der Schweiz.
Die Gefangenen kämpfen für die Abschaffung der Strafe des Lebenslänglich. In Italien ist für eine frühzeitige Entlassung die Strafe nämlich erst ab dem 26. Jahr revidierbar, was allerdings für die meisten Lebenslänglichen aufgrund ihrer Verurteilungen nicht angewendet wird . Darunter fallen unter anderem Vereinigungsdelikte wie bewaffneter Kampf und andere sogenannte “Schwerverbrechen”, außerdem der Umstand, dass die Gefangenen mit den staatlichen Organen nicht kooperieren wollen.
Die Selbstorganisierung der Gefangenen wird vor allem von Anarchist_innen begrüßt und dementsprechend unterstützt: es fanden schon eine Vielzahl von solidarischen Aktionen vor vielen Knästen in Italien statt und weitere werden noch folgen.

Diese Demonstration heute in Berlin – genauso wie die in Hamburg und Köln – sind ein kleiner Beitrag zum Kampf der Gefangenen, um ihren Forderungen Öffentlichkeit zu verschaffen und um ihre Rufe nach draußen zu verstärken.
Denn Medien und Politiker_innen verhalten sich wie erwartet – mit großem Desinteresse, was uns natürlich nicht überrascht, denn von solchen Menschen erwarten wir keines und möchten auch keine Solidarität von ihnen.
Deshalb ist es an uns allen den selbstorganisierten Kampf der Gefangenen auf unsere Art und Weise auf der Straße zu unterstützen, um unsere und ihre Unzufriedenheit den Herrschenden gegenüber klar auszudrücken.

Solidarität mit allen Hungerstreikenden in Italien und überall!
Freiheit für alle Gefangenen!
Gegen alle Zwangsanstalten!

Anarchist Black Cross Berlin


Grussworte

von Thomas Meyer-Falk, zur Zeit Knast in Bruchsal

Herzliche und kämpferische Grüße zu euch allen nach Berlin!

Der alte Knastbau Tegel steht leider immer noch genauso fest, wie der hier in Bruchsal. Und nicht vergessen all die anderen Gefängnisse in Deutschland und weltweit.

Aber ganz langsam entsteht unter den Gefangenen eine Bewegung nicht nur für ein paar mehr Bequemlichkeiten zu kämpfen, sondern für ihre Würde und für ihre Freiheit.
Und von draußen, von Menschen wie Euch die ihr heute in dieser frostigen Nacht gekommen seid, gibt es die so dringend notwendige Unterstützung. Ohne euch in Freiheit gibt es auch hinter Gittern keine Bewegung.

Erich Mühsam, er schrieb in einem Gedicht vom „Mensch sein“. Er schrieb: „Mensch sein erlaubt, befiehlt den Feind zu hassen. Mensch sein heißt Unrecht bei der Gurgel fassen und es mit jedem Keim zu Staub zerreiben….“

Fassen wir das Unrecht bei der Gurgel!

Auf ein kraftvoll-kämpferisches Jahr 2009.

Solidarische Grüße an Andrea, Christian S., Gabriel Pombo de Silva, José Delgado. Ebenso an Marco Camenisch der in der Schweiz gefangen gehalten wird. An die italienischen Genossinnen und Genossen, die in einer Hungerstreikstaffel für Ihr Mensch sein kämpfen und Solidarität brauchen!

Für eine Welt ohne Knäste!


Photos

Share your thoughts